Lungenembolie
Die Lungenembolie ist eine Verlegung der pulmonalarteriellen Strombahn, also
der Gefäße, die vom rechten Herzen zur Lunge gehen. Dies geschieht
in 80 % der Fälle durch Thromben (Gerinsel) aus den Becken- oder Beinvenen,
also bei einer Venenthrombose. Die Blutgerinsel lösen sich dort und
werden über die großen Körpervenen zum rechten Herz transportiert
und von dort in die Lungenarterien gepumpt, wo sie sich im Lungengewebe verfangen
und die Embolie auslösen. Seltenere Ursachen der Lungenembolie
entstehen durch Fruchtwasser unter der Geburt, Luftembolien bei Infusionen
oder Tauchunfällen, Fettembolien bei Knochenbrüchen oder
Knochenmarkembolien bei Operationen an den Wirbelkörpern.
In der allgemeinmedizinischen Praxis spielt fast ausschließlich die
tiefe Venenthrombose (TVT) eine Rolle. Der vorklinischen
Diagnostik kommt daher ein hoher Stellenwert zu, insbesondere auch deshalb,
weil diese schwierig ist und Fehldiagnosen sehr häufig sind. Als
Orientierung dient daher seit Ende der 1990er Jahre der Wells-Score, der
sich an anamnestischen und klinischen Faktoren orientiert:
Variablen |
Punkte |
Prädisponierende
Faktoren
anamnestisch TVT oder pulmonalarterielle Embolie
Immobilisierung oder chirurgischer Eingriff vor < 4 Wochen
aktuelle Krebserkrankung
Symptome
Hämoptysen
HF > 100/min.
Symptome einer TVT
Klinische Bewertung
alternative Diagnose wahrscheinlicher als pulmonalarterielle Embolie
geringe Wahrscheinlichkeit
mittlere Wahrscheinlichkeit
hohe Wahrscheinlichkeit |
1,5
1,5
1,0
1,0
1,5
3,0
-3,0
<2,0
2,06,0
>6,0 |
Wells Score bei V. a.
Lungenembolie (Wells et al. 1998) |
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Tiefe Beinvenenthrombose
(TVT)
Da die Lungenembolie eine relativ gefährliche Komplikation von
Beinvenenthrombosen darstellt, bedarf es erhöhter Aufmerksamkeit, Patienten
mit tiefer Beinvenenthrombose (TVT) rechtzeitig zu erkennen. Die Diagnose
erfolgt zumeist aufgrund einer Kombination von Anamnese des Patienten und
dessen Symptomen mit anschließender Ultraschalluntersuchung (venöser
Duplex bzw. Kompressions-Sonographie) und/oder Blutentnahme.
Die Kompressions-Sonographie lässt Blutgerinsel erkennen, die Blutentnahme
sichert die Diagnose zusätzlich in Zweifelsfällen, wenn es um den
Ausschluss einer TVT geht (siehe unten). Bei eindeutigen Befunden ist diese
jedoch nicht notwendig. Seit Ende der 1990er Jahre wird die Ultraschalldiagnostik
nicht mehr vor Ort, sondern per Überweisung zum Facharzt veranlasst.
Der Grund dafür wird in den
Leitlinien
von 2010, Seite 4 erklärt. Dies geht fast genauso schnell wie die
Vorortdiagnostik, da sich die Fachärzte in Nachbarpraxen befinden. Nur
noch in Ausnahmefällen ist eine Röntgendiagnostik mittels
Kontrastmittel (Phlebographie) erforderlich, beispielsweise bei zweifelhaften
Befunden oder nicht schallbarer Anatomie.
Laboruntersuchungen
Die Blutentnahme mit Bestimmung der D-Dimere erfasst Bestandteile im Blut,
die bei der Fibrinolyse (dem Auflösungprozess von Gerinseln) entstehen.
Da D-Dimere nicht nur bei Gerinseln, sondern auch bei anderen Erkrankungen
erhöht sind, kommen sie in der alltäglichen Praxis hauptsächlich
als Ausschlusskriterium infrage. Als regelmäßige Untersuchung
ist die Bestimmug der D-Dimere eher wenig geeignet. Folgebestimmungen der
D-Dimere können jedoch sinnvoll sein, um das Risiko einer erneuten Thrombose
einzuschätzen, sogenannte Re-Thrombosen oder Rezidive. Auch andere
Blutuntersuchungen helfen bei der Bestimmung des Rezidiv-Risikos.
Heutzutage können wir mittlerweile eine ganze Reihe von genetischen
Erkrankungen diagnostizieren, die für TVT und insbesondere für
TVT-Rezidive infrage kommen. Die häufigsten genetischen Ursachen von
Thrombosen, der heterozygote Faktor-V-Leiden-Defekt oder die heterozygote
Prothrombin-Mutation gehen erfreulicherweise nur mit einem wenig erhöhten
Rezidivrisiko einher. Seltenere Varianten wie das
Antiphospholipid-Antikörper-Syndrom haben jedoch eine deutlich erhöhte
Wahrscheinlichkeit für ein Rezidiv, ebenso wie wahrscheinlich die
heterozygote Faktor V- oder Prothrombin-Mutation. Auch die seltenen angeborenen
Defekte der Gerinnungshemmer Antithrombin, Protein-C oder Protein-S gehen
wahrscheinlich mit einer erhöhten Rezidivrate einher. Bei anderen seltenen,
genetischen Erkrankungen, den homozygoten Mutationen von Faktor V oder
Prothrombin sowie deren heterozygote Mutationen, ist bisher noch unklar (Januar
2011), ob diese eine Bedeutung für das Rezidivrisiko haben
(Lindhoff-Last & Luxembourg 2008).
Vor dem Hintergrund dieser noch in Teilen unklaren Bedeutung von labortechnisch
bestimmbaren Genvarianten, erscheint eine ausgedehnte Gerinnungsdiagnostik
ohne nähere Indizien vorerst nicht sehr sinnvoll (siehe
Leitlinien) und
wird von uns auch nur im Rahmen privatärztlicher Behandlungen
durchgeführt. Lediglich bei begründetem Verdacht auf ein ein
Antiphospholipid-Antikörper-Syndrom oder bei auffälliger
Familienanamnese sind zielgerichtete Laboruntersuchungen sinnvoll und
kassenärztlich abrechenbar. Um die Leitlinien zu zitieren:
"Ausdrücklich abgeraten wird von einem breiten Screening Gesunder,
da die daraus folgenden Konsequenzen für das Individuum völlig
unklar sind und oft mehr Unsicherheit als wirksame Vermeidung von
Erkrankungsfällen resultiert. Dagegen kann eine Testung auf Thrombophilie
bei gesunden weiblichen Angehörigen von Patienten mit venöser
Thromboembolie sinnvoll sein, wenn es um die Einschätzung des
Thromboserisikos bei Kontrazeption und Schwangerschaft geht."
Therapie der tiefen Venenthrombose (TVT)
Ziel der Therapie einer TVT ist immer, eine Lungenembolie zu verhindern und
die Spätschäden möglichst minimal zu halten. Therapeutisch
wird heutzutage der Patient nicht mehr "stillgelegt". Das heißt,
unkomplizierte TVT führen nicht zur Bettruhe, wie man es noch bis in
die 1990er Jahre hinein praktizierte, sondern der Patient kann sich bewegen,
sofern eine konsequente "Blutverdünnung" durchgeführt wird.
Eine Entfernung von Gerinseln mittels Operation, Kathetern oder Lyse wird
heute nur in seltenen Ausnahmefällen durchgeführt. Grund sind die
Risiken solcher Eingriffe bei vergleichsweise bescheidenem Nutzen. Auf jeden
Fall aber wird eine "Blutverdünnung" (Antikoagulation) so früh
wie möglich begonnen. Selbst in Fällen, in denen der Patient noch
nicht eindeutig eine TVT diagnostiziert bekommen hat, wird sicherheitshalber
antikoaguliert und erst nach einer abschließenden Diagnostik über
die Fortdauer der "Blutverdünnung" entschieden. Dies deshalb, weil das
Risiko einer Komplikation, eben der Lungenembolie, signifikant höher
ist, als das medikamentöse Risiko eine eventuell überflüssigen
Antikoagulation.
Zu Anfang nimmt man Heparin plus Phenprocoumon ("Marcumar") und ersetzt diese
Kombination nach einigen Tagen durch alleiniges Marcumar. Zum Einsatz kommen
niedermolekulare Heparine (NM-Heparine). NM-Heparine sind genauso effektiv
wirksam wie andere Heparine, sicherer als diese und erfordern für die
ersten fünf Tage keine zusätzlichen Laboruntersuchungen, bzw.
fortdauernden Laborkontrollen, besonders hinsichtlich der Blutplättchen.
In Deutschand, beziehungsweise in Wuppertal, kommt bevorzugt einer der unten
genannten vier Wirkstoffe (ohne Wertung) zum Einsatz:
Certoparin = Mono-Embolex®: 8000 I. E. 2x tgl.
Enoxaparin = Clexane®: 1,0 mg/kg KG 2x tgl.
Nadroparin = Fraxiparin®: 0,1 ml/10 kg KG 2x tgl.
oder Tinzaparin = Innohep®:175 I.E./kg KG 1x tgl.
Die anfänglich begonnene Therapie mit NM-Heparinen kann beendet werden,
wenn die Antikoagulation mit der ebenfalls anfänglich begonnenen
Marcumarisierung den wirksamen Bereich erreicht hat. Dies ist meist um den
fünften Tag der Fall und wird durch Laborkontrolle des Patienten, sogenannte
Quick-Bestimmung, ermittelt. Hat der Quick-Wert, beziehungswweise INR-Wert
den Bereich <2 erreicht, wird das Heparin beendet.
Die Marcumarisierung ist eine Behandlung mit einem Gegenspieler des
Vitamin-K, welches für die Blutgerinnung zuständig ist. Die Tablette
wird in festgelegter Dosierung täglich einmal eingenommen und in
unregelmäßigen Abständen durch Laborentnahme kontrolliert,
Zielwert INR 23. Wieviele Tabletten pro Tag und wie häufig
Laborkontrollen erfolgen, wird individuell festgelegt. Während der
Behandlung mit Marcumar sollte auf eine ausgewogene Ernährung geachtet
werden und keine gravierenden Schwankungen der Ernährungsgewohnheiten
erfolgen, damit eine gleichmäßige Vitamin-K Zufuhr erfolgt und
die Einstellung analog zu den Ernährungsgewohnheiten des Patienten erfolgen
kann, ohne dass ausgeprägte Schwankungen des INR auftreten und damit
verbundene, häufige Laborkontrollen.
Die Dauer der Marcumarisierung erfolgt meistens, aber nicht immer, über
drei bis sechs Monate. Es gibt keine feste Dauer, sondern sie wird abhängig
von der Thrombose, dem Verlauf, dem Risikoprofil und dem Rezidivrisiko
festgesetzt. Empfohlene Dauer der Antikoagulation nach TVT (Kearon et al.
2008):
- Erstes Ereignis bei vorübergehendem Risikofaktor (beispielsweise
Operation): drei Monate
- bei idiopathischer Ursache distale Thrombose: drei Monate
- bei idiopathischer Ursache proximale Thrombose: mehr als drei
Monate
mit geringem Blutungsrisiko plus gutem Monitoring:
zeitlich unbegrenzt
- bei aktiver Krebskrankheit: drei bis sechs Monate oder zeitlich
unbegrenzt
- Rezidiv bei idiopathischer Genese: zeitlich unbegrenzt
Literatur
Kearon, C., Kahn, S. R., Agnelli, G., Goldhaber, S., Raskob, G. E. &
Comerota, A. J. 2008: Antithrombotic therapy for venous thromboembolic disease:
American College of Chest Physicians Evidence-Based Clinical Practice Guidelines
(8th Edition). Chest, 133, 454545.
Lindhoff-Last, E. & Luxembourg, B. 2008: Evidence-based indications for
thrombophilia screening. Vasa, 37,1930
Wells, P. S., Ginsberg, J. S., Anderson, D. R., Kearon, C., Gent, M.,
Turpie, A. G., Bormanis, J., Weitz, J., Chamberlain, M., Bowie, D., Barnes,
D. & Hirsh, J. 1998: Use of a clinical model for safe management of patients
with suspected pulmonary embolism. Ann. Intern. Med., 129
(12), 9971005.
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